„Möge die neue Kirche nie zu groß sein für unsere Gemeinde” – 125 Jahre Pfarrkirche Altglienicke

Die alte Altglienicker Dorfkirche anno 1893 (Bild: BVA)
Die alte Altglienicker Dorfkirche anno 1893 (Bild: BVA)

Am 10. November 1895 hielt man unter Wolfgang von Hanstein, Oberpfarrer von Cöpenick und Alt Glienicke, Einzug in die neue Dorfkirche von Alt Glienicke.

Das Datum war bewusst gewählt mit dem Geburtstag des Reformators Martin Luther. In seiner Predigt wurde gleich zu Beginn deutlich, in welcher Geschwindigkeit das Gotteshaus errichtet wurde. Im Vorjahr am 8. April 1894 nahm man „dicht gefüllt” feierlich Abschied vom alten Gotteshaus, „das so klein und schlicht und doch eine Stätte manchfacher Erinnerung und reichen Segens für uns gewesen” war. „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden!”, waren jene Worte aus dem 2. Korinther 5, 17, die als ein Bogen von Hansteins Abschieds wie auch später die Einweihungspredigtprägten.

 „Unser altes Kirchlein war zu klein, 120 Plätze für 3000 Seelen, – zu wenig anziehend in seiner Schmucklosigkeit, zu Viele ausschließend. Wohl hatten wir’s lieb, aber es mußte schwinden dem beständigen Wachstum der Gemeinde gegenüber. Etwas Neues mußte an seine Stelle treten, wollten wir nicht aus Liebe zum Alten der Gegenwart schaden und einer besseren Zukunft entgegenwirken”, beschrieb von Hanstein die Situation, als die alte barocke Dorfkirche, ein ähnlicher Baukörper, wie die uns heute überlieferte im benachbarten Bohnsdorf, eilig der Spitzhacke zum Opfer fiel.

Mehrere Vorgängerbauten:

Kirchenbauten sah man über Generationen in Glienicke (erst ab 1764 mit der Ankunft Pfälzer Kolonisten Alt Glienicke) einige kommen und gehen. Mindestens vier waren es. Schon bei der ersten urkundlichen Erwähnung des Ortes 1375 wurden vier Pfarrhufen erwähnt, so dass es offenbar zu dieser Zeit bereits einen Pfarrer im Ort gab. Es wird vermutet, dass da schon an altvertrauter Stelle eine kleine Kirche als hölzerner Fachwerkbau existierte. Im Jahr 1539 wurde die Kirche in Glienicke mit der Reformation in Brandenburg evangelisch und für 1541 ist vermerkt, dass diese eine Filiale von der in Cöpenick ist. Ab da gab es in Glienicke keinen eigenen Pfarrer mehr. Der reiste nun immer aus der Stadt Cöpenick in das seinerzeit 100-Einwohner-Dorf an. Im Dreißigjährigen Krieg 1618 bis 1648 ist laut der Chronik der erste Vorgängerbau abgebrannt. Also baute man wieder etwas auf. Für den 3. Juni 1757 wurde schließlich als Nummer 3 die Grundsteinlegung eines barocken Kirchenbaus verzeichnet. Das geschah nach Plänen des Baumeisters Abraham Lehmann aus Spandau, der kurz zuvor die Bohnsdorfer Dorfkirche ausführte. Zum Bau in Glienicke steht geschrieben: „Die Kirche ist ein einfacher geputzter, modernisierter Ziegelbau, ohne Chor, flach gedeckt mit Holzturm”. Sie war 22,5 Meter lang, 10,3 Meter hoch, und der Turm mit seinen zwei Glocken ragte 26 Meter hoch. 1759 wurde die Dorfkirche mit einem neuartigen Kanzelaltar geweiht, doch wenige Jahre nach der Fertigstellung traten schon erste bauliche Mängel auf. 1774 erfolgt eine umfassende Renovierung, auch nachfolgend waren immer unentwegt Erhaltungsarbeiten notwendig – und schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwies sich die Kirche mit besagten 120 Sitzplätzen für Gottesdienste als zu klein.

Jahrzehnte währender Kampf um den heutigen Kirchenbau:

Himmelfahrtstag 1852 war laut Chronik die Enge so groß, dass nicht alle Menschen hineinpassten, teils stehend die Reihen füllten und der Prediger aufgrund der stickigen Luft ohnmächtig wurde. Im Jahr 1866 erging aus Alt Glienicke an die preußische Regierung die Forderung nach einer neuen größeren Kirche, deren Bau aber zunächst wegen der Kosten abgelehnt wurde – obwohl nach dem damals gültigen Schlüssel zwei Drittel der konfirmierten Gemeindeglieder, sprich 404 Personen, einen staatlich verbürgten Anspruch auf einen Sitzplatz hatten. Jahrzehnte währender Kampf um den heutigen Kirchenbau Das einzige, was noch gelang, war eine Erweiterung der Bestuhlung auf 199 Personen. Es mehrten sich aber bauliche Mängel durch feuchtes Mauerwerk und Risse. Baumeister Robert Buntzel veranschlagte gegenüber der Gemeinde stolze 120.000 Mark, um das zu kleine Kirchengebäude zu retten. Dies verstärkte die Einsicht, dass ein kompletter Neubau wirtschaftlicher sei. Die Frage war dabei, wie überhaupt eine größere Kirche auf dem Grundstück realisiert werden könne. Die Lösung war den nördlich der Dorfkirche befindlichen Teich, den Küsterpfuhl, zuzuschütten. Dazu wurde ein Teil des benachbarten Grundstücks der Kolonisten-Familie Partenheimer (wo sich heute der große Parkplatz zum Action-Discounter befindet) erworben. Um die Kirche auf der Fläche gut unterzubringen, sollte der Neubau entlang der Köpenicker Straße ausgerichtet werden, anstatt wie bisher in der traditionell für Kirchen üblichen Ausrichtung, mit dem Altar nach Osten gewandt, schräg. Nach langen zähen Verhandlungen um eine Mischfinanzierung für die veranschlagten 178.520 Mark aus Mitteln staatlicher und kirchlicher Behörden sowie der Gemeinde konnte die Dorfkirche ab April 1894 dann doch abgerissen werden.

Altarraum zum Erntedankfest 1935 (Bild: BVA)
Altarraum zum Erntedankfest 1935 (Bild: BVA)

Ein Grundstein wird gelegt:

Am 18. Juli 1894 erfolgte schließlich an der Stelle des heutigen Altars die Legung des Grundsteins. Oberpfarrer von Hanstein hielt vor zahlreichen Vertretern aus Land und Kreis die Festansprache, die ein zeitgenössischer Bericht „in markigen Worten” gehalten, „erhebend feierlich, zu Herzen gehend und wirkungsvoll” beschrieb. Es folgte eine Rede des Patronatsältesten und Gemeindevorstehers Friedrich Hannemann, der die Grundsteinurkunde verlas und einen drei Jahrzehnte währenden Kampf für diesen Kirchenneubau in Erinnerung führte. Generalsuperintendent Faber wies in seinem Grußwort auf die Kontinuität dieses Kirchenbaus hin, weil auch Steine der alten Dorfkirche darin verbaut wurden. Reste der einst in Schräglage angeordneten Dorfkirche sieht man übrigens noch im Gartenbereich hinter dem Glockenturm, wo zwischen Grashalmen Steine des alten Fundaments hervorschauen.

Unsere Kirche als ein charakteristisches Frühwerk von Ludwig von Tiedemann:

In weniger als 16 Monaten entstand der neue Kirchenbau nach einem Entwurf des Architekten Ludwig von Tiedemann, ausgeführt durch Hermann Bohl und Ludwig Schaller. Der bei Danzig geborene Architekt und preußische Baubeamte von Tiedemann (1841–1908) war ein namhafter Baumeister seiner Zeit, zunächst für vor allem Universitäts- und dann ab Mitte der 1890er Jahre, bei uns in Alt Glienicke einsetzend, Kirchenbauten. Eine Vielzahl von Kirchen in Berlin, Potsdam und im heute polnischen Westpreußen zeugen bis heute von seinem Schaffenswerk. In unserem Raum finden wir von Tiedemann unter anderem die Genezareth-Kirche Erkner (1897), die Dorfkirche Biesdorf (1898), die Glaubenskirche Lichtenberg (1905) und ganz in unserer Nähe auch als eines seiner letzten Werke die Friedenskirche Grünau (1906). Von Tiedemanns Kirchen zeigen allesamt eine auffällig ähnliche Formsprache: sie sind im Geist der Zeit historistische Architektur, ausgeführt als rote Backsteinbauten in neugotischen wie neoromanischen Formen, haben aber bei ihm als besonderes Charakteristikum im unteren Bereich sich davon abhebende Fassadenabschnitte aus Feld- oder Kalksteinen, wie bei dieser Kirche am Sockel des Glockenturms ersichtlich. Mit diesen versuchte von Tiedemann den Eindruck einer historischen Kontinuität zu erwecken, sein Neubau sei aus den Resten einer mittelalterlichen Kirche erwachsen. Im Kircheninneren setzte er wiederum viel auf Holzfachwerk, um so auf die noch frühere Kirchenbautradition alter Bauerndörfer zu verweisen.

Realisierung trotz knapper Finanzen:

In einem märkischen Bauerndorf wie Alt Glienicke war die Kirchengemeinde regelmäßig finanziell klamm und auf Zuschüsse der Königlichen Regierung angewiesen. Auch in dieser Zeit, wo der Ort plötzlich auf stolze 3.774 Einwohner gewachsen war. Möglich wurde der zu erbringende Eigenanteil der Kirchengemeinde, weil man gutsituierte Bauernfamilien in seinen Reihen hatte, wie etwa die um die Kirche herumwohnenden Hannemanns, Partenheimers, Haberechts oder Korkes, die immer wieder nach Aufrufen einen großzügigen Obolus spendeten. Damit ließ sich mit etwas Bescheidenheit bei der architektonischen Ausstattung am Ende auch jener große Kirchenbau realisieren. Unter vielen Ehrengästen ging an jenem 10.11.1895 die Eröffnung vonstatten, nachdem Oberpfarrer Wolfgang von Hanstein mit einem auf einem Atlaskissen gereichten silbernen Schlüssel das Portal öffnete und alle dahinter feierlich einzogen. Schon in dieser Zeit vor 125 Jahren klang eine gewisse pessimistische Prophetie an. „Möge die neue Kirche nie zu groß sein für unsere Gemeinde”, waren Worte, die von Hanstein bei der Grundsteinlegung beschwor und zur Einweihung wiederholte. Man entledigte sich einer zu klein gewordenen Dorfkirche, die aber heute jenseits von Heiligabend und einigen größeren Veranstaltungen die Besucherzahl von Gottesdiensten oft auffangen würde. Es entstand eine Kirche, die in ihrer Größe damals alles im Dorf überragte. Sie war auf eine Zukunft einer stetig wachsenden Gemeinde gebaut, wo es noch zur Regel gehörte, dass fast jeder christlich getauft wurde und so auch im Leben zwischen Taufe und Beerdigung den Weg hierher finde. Kaiserin Auguste Viktoria, Gattin von Wilhelm II., war in dieser Zeit einsetzender Säkularisation eine Frau, die aktiv für den Bau neuer Kirchen eintrat, um in den wachsenden Ortschaften rund um Berlin die „Kirchennot” zu zwingen und – wie es im Zeitgeist hieß – auch „eine feste Burg” gegen die „um sich greifende Sozialdemokratie und andere vaterlandslose Gesellen” zu schaffen, was eine damit drohende Abkehr von der Kirche herauf beschwor. Die Berliner nannten die Kaiserin aufgrund ihres leidenschaftlichen Kampfes für Kirchenneubauten „Kirchenjuste”. Sie war natürlich auch zur Einweihung in Alt Glienicke eingeladen, sagte aber zur Enttäuschung vieler ab. Auguste Viktoria ließ jedoch der Gemeinde über ihren Gesandten Gustav Graf von Keller eine Bibel im Ledereinband mit Metallbeschlägen überbringen, die 83 Jahre lang den Altar schmücken wird.

Die hiesige neue Kirche 1909 (Bild:BVA)
Die hiesige neue Kirche 1909 (Bild:BVA)

Das Wesen des Kirchenneubaus:

Die neue Kirche folgte in ihrer Größe der Verstädterung, der sich in dem bisher dörflich geprägten Altglienicke abzeichnete, als auch hier und da erste Mietskasernen entstanden, bis sich nach dem Ersten Weltkrieg an der Peripherie der Großstadt die Entwicklung in Richtung Einfamilienhaus mit Garten umkehrte. So entstand eine dreischiffige Pfarrkirche städtischer Art, im Stil der Neoromanik gehalten, aber auch Elemente der Neugotik aufweisend (Strebepfeiler). Der schlanke quadratische Kirchturm ist versehen mit Pyramidendach, einem Kalksteinsockel und seitlich vor die Kirchenfront gesetzt, völlig untypisch für eine Dorfkirche. Der Bau ist mit rotem Backstein verblendet. Das Gebäude ist 36 Meter lang, 16 Meter breit, der Turm misst 41 Meter Höhe. Etwa 1.000 Besucher fanden bei Eröffnung im Kirchenschiff Platz. Der großzügige Bau hatte in den Jahren nach der Erbauung schnell seinen Spitznamen weg, so gab es Straßenbahnschaffner der guten alten „84”, welche die Haltestelle mit „Altglienicker Dom” ausriefen. Anfangs war die Kirche im Inneren, wie in Zeiten des Historismus üblich, aufwendig mit Ornamenten bemalt. Spärlich vorhandene ältere Bilder zeigen es. Irgendwann in der Nachkriegszeit war eine Renovierung der Wände fällig. Es fehlten in DDR-Zeiten die materiellen Ressourcen, das instand zu setzen, zudem empfanden Gemeindeglieder die Kirche dadurch zu dunkel, so wurden die Wände einfach geweißt. Als im Vorfeld der 100-Jahr-Feier die Kirche restauriert wurde, legten Fachleute vor allem an den Strebepfeilern ein paar kleinere Abschnitte frei, so dass man erahnen kann, wie die Innenausmalung einst aussah. Ebenso zierten das Kirchenschiff bis in den Zweiten Weltkrieg hinein vier von der Decke hängende Kronleuchter. Hier wurden später Seitenleuchter an den Emporen angebracht und ein paar kleinere Strahler an der Decke.

Die Kirche nach Kriegsende – ab 1961„Pfarrkirche”

Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Altglienicker Dorfkirche relativ wenige, aber beträchtliche Bombenschäden. Trotzdem gelang es, die Kirche innerhalb eines halben Jahres soweit wiederherzustellen, dass schon am 11. November 1945 im Rahmen eines Festgottesdienstes das 50-jährige Bestehen gefeiert werden konnte.

Große Veränderungen ergaben sich in nachfolgender Zeit, als 1957 unterhalb der Orgelempore ein kleinerer, besser beheizbarer Raum mittels einer Glastrennwand als Winterkirche abgetrennt wurde. Dafür wurden nicht nur die einst bis zum Eingangsbereich reichenden Kirchenbänke entfernt, sondern die mittig nach innen gerundete Orgelempore auf einen geraden Abschluss gebracht, um mit der Trennwand darunter abzuschließen. Diese Maßnahme war der geringer werdenden Anzahl von Gottesdienst-Besuchern geschuldet, denen allzu hohe Heizkosten gegenüberstanden. Seinerzeit verfügte die Kirche noch über eine Ofenheizung, die Stunden vorher vom Kirchendienst befeuert werden musste, um es in der kalten Jahreszeit einigermaßen warm zuhaben. Die geringere Nutzung der Hauptkirche führte aber auch dazu, dass sich dort feuchtigkeitsbedingt bauliche Schäden mehrten, die zu DDR Zeiten aufgrund knapper Materialien und Bauleute nicht immer so einfach sofort zu reparieren waren.

Bedeutsam war auch die Zeit von Pfarrer Georg Simon von 1961 bis 1971. Wurde bis dahin nur von der Altglienicker Kirche bzw. Dorfkirche gesprochen, kreierte er neu den Begriff „Pfarrkirche” und sorgte überall aktiv dafür, dass sich die Bezeichnung erfolgreich durchsetzte. 1978 wurde die Pfarrkirche in einer Zeit eines kirchenfeindlich geprägten DDR-Staats Opfer von Vandalismus. Jugendliche brachen ein, stürzten Altar und Taufstein um, demolierten Fenster, Bänke und weitere Einrichtung, zerstörten dabei auch die historische Altarbibel mit der Widmung von Kaiserin Auguste Viktoria von 1895. Ein schwerer Schock, wo man bei einer schrumpfenden Gemeinde ohnehin schwer mit dem Erhalt des Gebäudes zu kämpfen hatte und oft die Finanzen fehlten. Erst mit dem Fall der Mauer ergaben sich wieder bessere Möglichkeiten. Hinsichtlich des 100-jährigen Kirchenjubiläums fand eine erste umfangreichere Renovierung statt. Am 12. November 1995 wurde groß ein Festgottesdienst mit dem damaligen Landesbischof Dr. Wolfgang Huber, einer Festschrift, einer Ausstellung sowie weiteren Veranstaltungen gefeiert. Vor wenigen Jahren fand nun eine zweite Sanierung statt, in der neben dem äußeren Mauerwerk auch das Dach erneuert und energetisch verbessert wurde. Heute steht die Kirche wieder vermehrt im Mittelpunkt des Ortslebens. Seit 2010 fand dort u. a. alljährlich rund um die Pfarrkirche ein Adventsmarkt für die breite Öffentlichkeit statt. Regelmäßige Konzerte ziehen auch Besucher außerhalb der Kirchengemeinde an. Ein Eine-Welt-Laden lädt wöchentlich zum nachhaltigen und fair gehandelten Einkaufen ein. Unterdessen werden auch das ganze Jahr über wieder Gottesdienste in der großen Kirche gefeiert und nicht mehr zwischen Oktober und März allein in der Winterkirche. Es sind im wachsenden Altglienicke auch wieder mehr Gottesdienstbesucher zu verzeichnen.

(Text wurde von Joachim Schmidt vom Dörferblick zur Verfügung gestellt. Vielen Dank)


Altglienicker Pfarrkirche wird saniert

Derzeit ist die Pfarrkirche im Altglienicker Ortskern eingerüstet. Was passiert da? Dach und Turm werden saniert sowie Maurer- und Fassadenarbeiten durchgeführt, die längst überfällig waren, um das Gebäude zu seinem baldigen 120. Geburtstag nachhaltig wieder in einen ordentlichen Zustand zu bringen.

(Danke an Benjamin für die Fotos)



Die Geschichte der Altglienicker Pfarrkirche

Frühe Zeugnisse

Der Plural ist angebracht, denn zur Zeit besitzt der Ort vier Kirchengebäude; zwei werden von den evangelischen und eines von den katholischen Einwohnern be­sucht. Außerdem gibt es eine neuapostolische Kirche. Die Gebäude sind noch jung
an Jahren. Wie war es in der Vergangenheit um die ­Gläubigkeit der Glienicker bestellt? Die Angaben dazu sind dürftig. Wahrscheinlich ist, daß Glienicke zur Zeit seiner ersten Erwähnung, also 1375, eine eigene Kirche besaß, auch einen eigenen Pfarrer, dem vier Freihufen zugeteilt waren, Grund und Boden aus markgräflichem Besitz. Die Kirche stand am Platz der heutigen Pfarr­kirche, mitten im Dorf also, wo eine Kirche auch hingehört. Sie dürfte ein Fachwerkbau gewesen sein, ausgestattet mit einem vermutlich von der Familie Musolf gestifteten Altar, der nach dem Heiligen Erasmus benannt war. Erasmus starb eines grausigen Märtyrertods, weshalb sich die Gläubigen bei heftigen Beschwerden ›ihres Leibes‹ mit der Bitte um Hilfe an ihn wandten. In der Folge wurde das Glienicker Kirchenamt denn auch als das ›Lehen Erasmi‹ bezeichnet.
1541 heißt es in einem Visitationsprotokoll: ›Nachdeme dann die Pfarre des Dorffs glinick bishero allewegen ein filial der Pfarre zu köpnick gewesen, soll es nochmals also bleiben und dem Pfarrer von gemeldten Pfarre zu glinigk jerlich wie vorhin gegeben werden, nemlich der opfer, also das jede Person, so zum sacrament geht, jerlich III pfennig opfern soll.‹
Was bedeutet das? Glienicke (Man beachte die unterschiedliche Schreibung innerhalb eines Satzes!) besitzt eine Kirche, aber diese ist nur eine ›Filiale‹, die Einkünfte gehen an den Köpenicker Pfarrer, und auch die Einwohner besuchen zum Gottesdienst die Köpenicker Kirche. In Glienicke versah ein Bauer das Glocken­läuten, am Erasmus-Altar wurde nur still gebetet. Man darf annehmen, daß in den Jahrzehnten zuvor der Pfarrer in Glienicke gewissermaßen eingespart wurde, weil die Einwohnerzahl stark gesunken war. Als unter Georg Flans das Dorf wieder aufblühte, bemühte sich dieser, den alten Zustand wieder herzustellen und einen Pfarrer ­seiner Wahl zu etablieren, wozu er als Kirchenpatron berechtigt war. Aber damit schuf er sich auch Feinde, ging es doch weniger um die Betreuung der Gläubigen als vielmehr um die Einkünfte aus den Pfründen.

Die Reformation

Das 16. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Reformation. Am 18. 4. 1539 versammelte sich eine bedeutende Anzahl von Adligen, darunter Jochen von Schlabrendorf zu Schloß Beuthen, im Schlosse des Junkers von Schwanebeck, um sich durch Unterschrift zur ›reinen göttlichen Lehre‹ zu bekennen. Gleichzeitig verpflichteten sie sich, ›Pfarrer und Plebanos, die sich sperren ..., nicht durch Gewalt verjagen und verfolgen, sondern ihnen Unterhalt reichen‹ zu wollen. Und das war zweifellos christlich gedacht. Im Herbst des gleichen Jahres reisten alle gemeinsam nach Spandau, wo sie am 1. 11. 1539, zu Allerheiligen, in der dortigen Nikolaikirche ›das heilige Sacrament unter beyderley Gestalt‹ (Brot und Wein) ­empfingen. Georg Flans fehlte in dieser hoch angesehenen Runde. Allerdings war er zu diesem Zeitpunkt bereits ein alter Mann; 1549 wurde er zum letzten Mal erwähnt. Nachdem der Kurfürst seine Zustimmung gegeben hatte, wurde die Reformation in der ganzen Region ›durchgeführt‹. Die Kirche befand sich durchaus in der Ab­hängigkeit vom Landesherrn und nicht vom Papst. Was die Glienicker darüber dachten, ist nicht bekannt. Allerdings wurde auch vor der Reformation bereits verbreitet in der Sprache des Volkes gepredigt und gebetet. Im übrigen wird die Hauptsorge wohl der Aussaat und der Ernte, also dem irdischen Wohlergehen gegolten haben.


Ärger mit der Kirche Nr. 3

Die dritte Kirche von 1759 bis 1894
Die dritte Kirche von 1759 bis 1894

Fachwerkhäuser halten nicht unbegrenzt lange, auch dann nicht, wenn der verwendete Lehm aus Glienicke stammt. Die erste Kirche soll wegen Baufälligkeit abgerissen worden sein, an ihrer Stelle wurde eine andere errichtet, die während des 30jährigen Krieges abbrannte. Nach einer als zuverlässig geltenden Quelle war es die erste ­Kirche, die während des Krieges abbrannte. Die wenigen noch vorhandenen Einwohner suchten zum Gottesdienst die Köpenicker Kirche auf. Die zweite Kirche, am gleichen Platz errichtet, mußte nach rund einhundert Jahren wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Sie besaß bereits eine Glocke mit der Inschrift:
Soli Deo Gloria
Menestos Gottlieb Glavius Prediger in Köpnick
Johannes Schmidt, Oberamtmann allhier
Heinrich Liebigke, Schulze zu Glienik
Georg Knohrt, Kornschreiber allhier
Me Fecit Otto Ehlers 1703.
Otto Ehlers ist der Glockengießer. Ein Glienicker Pfarrer ist auf der Glocke von 1703 nicht verewigt, wohl aber der Köpenicker Prediger. Diese Glocke fand ihren Platz auch in der dritten Kirche. Am 3. Juni 1757 wurde der Grundstein zur dritten Kirche gelegt, und dieser Termin war nicht günstig gewählt. Man hätte ein wenig warten sollen, weil wieder einmal ein Krieg tobte, der Siebenjährige. Die Bauleute waren bereits fleißig bei der Arbeit, da tönte der Schreckensruf: ›Haddik ante portas!‹, und sie ergriffen eilig das Hasenpanier. Am 16. 10. 1757 brach der österreichische General und Reiterführer Andreas Haddik mit seinen Soldaten in Glienicke ein, aber während er den Grün­auern kaum ›das Hembde‹ ließ nahm er den Glienickern nur das, was er unbedingt brauchte, einige Pferde von der Weide, etwas Proviant. Es ging glimpflich ab; aber die Bauleute kehrten erst im folgenden Jahr an ihre Arbeit zurück.
Es entstand ein barocker Bau unter Baumeister Abraham Lehmann und ­Zimmermann Johann Rüdel, beide aus Spandau, war 1759 fertiggestellt und bot 120 Menschen Platz. So wird er beschrieben: ›Die Kirche ist ein einfacher geputzter, modernisierter Ziegelbau, ohne Chor, flach gedeckt, mit Holzturm.‹ Die Kirche war 22,50 Meter lang, 10,30 Meter breit, der Turm ragte bis zum Knopf etwa 26 Meter hoch auf. Sie stand wie wahrscheinlich auch ihre Vorgängerinnen schräg zur Straße; sie schaute also gewissermaßen auf den Dorfplatz. Gleichzeitig mit der neuen Kirche erschien in Glienicke auch wieder ein neuer Pfarrer, Johann Gottfried Benecke. Gewissenhaft erstattete er am 27. 2. 1759 Bericht: ›Der Anfang mit Predigen ist gemacht worden den 26. 11. 58.‹ Da kann die Kirche allerdings noch nicht fertig gewesen sein. Und dann führt er die Namen von drei ›Honoratioren‹ und von 15 Kossäten auf. Vier von ihnen trugen den Namen Hannemann. Weshalb noch hätte man mit dem Kirchenbau warten sollen? Was die ­Glienicker nicht wußten: daß Friedrich II. ihr Dorf, das von Zeit zu Zeit immer wieder in Dornröschenschlaf fiel, aufpäppeln wollte mit Zugereisten, mit jenen Pfälzer Kolonisten, die recht bald mit Erfolgen aufwarteten. Die besuchten als Reformierte (Anhänger des Schweizer Reformators Calvin) zwar nicht die Glienicker Kirche, aber ihre Knechte und Mägde waren zumeist lutherisch und beanspruchten Platz in der Glienicker Kirche. Kaum gebaut, und schon wieder zu klein!

Die hiesige neue Kirche 1909
Die hiesige neue Kirche 1909

Das Kirchlein stand unter keinem guten Stern. Gute 30 Jahre lang gab es offenbar nichts zu beanstanden, aber ein Gebäude, das 30 Jahre auf dem Buckel hat, ist eben nicht mehr neu. Stürme setzten ihm zu, besonders schwere im Februar und März 1793. Von da an sollte das Reparieren nicht mehr aufhören. Jede Rechnung, säuberlich aufgelistet in der Kirchenchronik, war höher als die vorige. Im Laufe der 135 Jahre ihres Bestehens wurde die Kirche zum Faß ohne Boden.
sie nirgends einen Sitz als unter denen auf dem Chor hätten, ihnen auch überdies das Treppensteigen ziemlich schwer werde und sie deshalb lieber unten in der Kirche Platz hätten. Auf dem Chor selber entstehe Streit, wer vorn und wer hinten sitzen solle, und wegen der vielen Schwierigkeiten konnte eine Zuteilung der Sitze an diesen Tagen nicht geschehen. Er schlägt daher vor, zu beiden Seiten des Altars noch je einen Stuhl aufzustellen. Zur Beschleunigung der Angelegenheit fügt er bei: (Man) besorgt Unruhe und Exzesse während des Gottesdienstes, wenn nicht bald Remedur* getroffen wird. Und da ich das lebhafte, teils unruhige Temperament der Einwohner daselbst kenne, so muß ich demselben hierin vollkommen beipflichten und um Abhilfe des Übels hiermit um so mehr bitten, weil diejenigen, welchen es bisher an einem Stuhl oder gewissen Sitz in der Kirche gefehlt hat, auch zu den Reparaturen der Kirche und der geistlichen Ge­bäude ihren Beitrag verweigern.‹ (Aus einer Abschrift der Chronik von Rektor Gerhard André).
Der Altglienicker dieser Tage hat seine Freude an diesem Bericht, wird seinen Vor-Bewohnern doch Lebhaftigkeit attestiert und ein gewisser Selbstbehauptungsdrang, den sie besonders dann an den Tag legten, wenn es an den eigenen Geldbeutel ging und eben dieser Geldbeutel als Druckmittel benutzt werden konnte. Weitere Stühle und Bänke wurden beschafft, aber der Innenraum, 8,40 Meter breit und 16 Meter lang, war nicht aufblasbar wie ein Luftballon. Immer neue Schäden nagten nun unübersehbar an der Substanz des Gebäudes. In den Verträgen mit Handwerksmeistern wird verlangt, daß weder ›Pfuscher noch Gesellen, sondern echt tüchtige Gewerksmeister‹ zu beschäftigen sind, daß kein ›Sparkalk‹ und kein ›schlechtes Holz‹ verarbeitet werden darf. Was half es, daß die ausgeführten Arbeiten beanstandet wurden? Neue Schäden – neue Reparaturen! Am Himmelfahrtstage, dem 5. Juni 1852, wich man zum Gottesdienst ins Schulzimmer aus, das so überfüllt war, daß einige Leute den Raum verließen und der Prediger ohnmächtig wurde. 1866 ergeht eine energische Forderung an die Regierung. Glienicke, bestehend aus Alt- und Neu-Glienicke, braucht eine neue, größere Kirche, und es braucht eine Orgel, ›da es mit dem Kirchengesang so nicht gehe‹. Der Punkt, um den sich alles dreht, das sind natürlich die Kosten. Die Regierung verhält sich ablehnend, da Platzmangel nur an hohen Festtagen zu verzeichnen sei. Hier drängt sich der abgedroschene Spruch auf: Wenn alle reingehen, dann gehen nicht alle rein; nur wenn nicht alle reingehen, dann gehen alle rein. Der Schlüssel sieht vor: für zwei Drittel der konfirmierten Gemeindemit­glieder muß ein Sitzplatz vorhanden sein. 1866 hat Glienicke 404 Personen mit Anspruch auf einen Sitzplatz, aber nur 199 Plätze. 1868 holen die Büdner zum Schlag aus: 34 von ihnen fordern per Eingabe ihren Sitzplatz. Vergeblich! Unter den Namen ­finden sich fünf Haberecht, aber nur ein Hannemann.


Die 4. Kirche

Das Reparieren und provisorische Erweitern findet zunächst seine Fortsetzung, bis es um 1880 klar ist: nichts geht mehr! Nur ein Neubau kann Abhile schaffen. 1167 lutherische Gläubige müssen angemessen seelsorgerisch betreut werden, das sieht auch die Regierung ein. War doch 1880 sogar eine Orgel aufgestellt worden, eingebaut von der Firma Remler & Sohn. Als die dritte Kirche abgerissen wurde, gelang es dem Küster und Hauptlehrer Oskar Scheer, sie für 900 Mark an den Grafen Arnim in Criewen zu verkaufen. Aber bis zu dieser Transaktion war noch um die Beschaffung der finanziellen Mittel für den Neubau zu streiten.
Baumeister Robert Buntzel veranschlagt 100 000 bis 120 000 Mark; die Regierung fordert von der Gemeinde 55000 Mark Selbstbeteiligung. Da kann sie nur ­hilflos beide Hände heben, denn sie hat gleichzeitig einen Schulneubau auf den Weg zu bringen. Sorgen bereitet auch der Standort, denn die benötigte Fläche übertrifft die Maße des zuvor beanspruchten Bodens. Man weiß sich zu helfen. Der Pfuhl auf der Nordseite der Kirche wird zugeschüttet. Die Erben des verstorbenen Kolonisten ­Partenheimer verkaufen Grund und Boden, der an das Kirchengelände grenzt. Die neue, große Kirche hat einen Schwenk zur Friedrichstraße (Semmelweisstraße) zu machen und zeigt dem Dorfplatz die kalte Schulter. Das alles sagt sich leicht, er­forderte aber zähe Verhandlungen – und Geld! Am Ende sah das Bild folgendermaßen aus: Die Kirche kostete knapp 150 Mark pro Sitz. Kommentar der Regierung: Für Dorfkirche nicht billig! 51800 Mark übernahm die Regierung, die Gemeinde 63360 Mark. Davon zahlten die Alt-Glienicker 31680 Mark, also die Hälfte. Die andere Hälfte fiel den Neu-Glienickern zu, aber die waren laut Privileg durch Friedrich II. von Lasten befreit – zu Lasten der Regierung. Da sieht man, was gegebene Zusagen wert sind, wenn sie eingehalten werden.

Altarraum zum Erntedankfest 1935
Altarraum zum Erntedankfest 1935
Reste alter Gewölbebemalung
Reste alter Gewölbebemalung

Die Grundsteinlegung erfolgte am 18. Juli 1894 unter starker Beteiligung
der Einwohner. Es war ein Fest für die Altglienicker. Gemeindevorsteher Friedrich ­Hannemann sagte in seiner Rede: ›Zu einer Zeit aber, wo die Vororte Berlins sowie, man möchte sagen, die ganze Welt voll von sozialdemokratisch und anarchistisch gesinnten Menschen, welche jeden Sinn für Monarchie und den Glauben an Gott ­entbehren, strotzt, muß die Erbauung der neuen Kirche hierselbst als ein Ereignis für diesen Ort aufgefaßt werden ... Möge unser Ort auch fernerhin von äußeren Feinden sowohl als auch von inneren Feinden, namentlich aber von der sozialen Revolu­tion verschont bleiben. Möge Preußen und das deutsche Reich durch die tatkräftige ­Regierung unseres Aller­gnädigsten Kaisers, Wilhelm II., sowie unser Ort durch seine ­eigene Verwaltung emporblühen. Das walte Gott. Der Gemeinde-Kirchenrat äußerte sich schriftlich zu dem Ereignis: ›... In den großen Städten und den Vororten derselben regt sich der Kampf gegen Thron und Altar, ­spottet man des Glaubens und der Vaterlandsliebe. Aber ... dank der Allerhöchsten Fürsorge unseres teuren Kaiserpaares ... wachsen allenthalben in vorher ungeahnter Zahl Kirchen empor, damit das Wort unseres verewigten und unvergeßlichen Kaisers, Wilhelm I., daß dem Volke die Religion erhalten bleiben müsse, verwirklicht würde. In den Worten von Hauptlehrer und Küster Oskar Scheer klingt verhaltene Skepsis an: ›... trifft uns mit allen Deutschen die fürsorgliche landesväterliche ­Fürsorge, dann muß des Landes Glück gedeihen und Friede wird uns erhalten ­bleiben. Hierüber walte Gott in Gnaden.‹ Welche Ironie der Ereignisse: Fast auf den Tag genau, nämlich am 15. 7. 1894, wurde der Haltepunkt am Adlergestell stillgelegt und das Dorf erneut aufs Abstellgleis geschoben. Die Weihe der Kirche fand am 10. November 1895 unter starker Beteiligung von Ehrengästen statt. Es war ein vielbeachtetes Ereignis, das auch Anlaß zu Ordensverleihungen bot: Oberpfarrer von Hanstein wurde mit dem Roten Adlerorden vierter Klasse ausgezeichnet, Gemeindevorsteher Hannemann mit dem Kronenorden vierter Klasse, Hauptlehrer Scheer mit dem Adler der Inhaber des Hohenzollerschen Hausordens. Das Geld für die Innenausstattung der Kirche wurde ausnahmslos von den Ein­wohnern aufgebracht. 421 Altglienicker spendeten mit zum Teil winzigen Beträgen. Die Sammellisten, von Schulmeister Scheer geführt, sind erhalten.

›Die Abrechnung hat stattgefunden und es wird dem Sammler Herrn Scheer mit dem Ausdruck des Dankes für seine Bemühungen Decharge (Entlastung) erteilt.
Alt-Glienicke, den 14. Juli 1897.
Der Gemeinde-Kirchenrat
A. Haberecht. F. Hannemann – Hannemann. Iseler, Pfarrer.‹

Mit dem Siegel versehen und für richtig befunden! Wir Nachkommen können da nur den Hut ziehen!
Diese neue, inzwischen mehr als 100 Jahre alte Kirche mit ihrer ebenfalls 100 Jahre alten Orgel kann jeder Interessierte in Augenschein nehmen. Jahrzehntelang ›Alt­glienicker Dorfkirche‹, von einem Schaffner der Straßenbahn 84 gar ›Dom‹ genannt, bestand der Pfarrer Simon in den 60er Jahren auf der Bezeichnung ›Evangelisch-lutherische Pfarrkirche‹. Der 41 Meter hohe Turm ist bis zur S-Bahnlinie sichtbar. Das Gebäude ist 36 Meter lang und 16 Meter breit. 800 bis 1000 Menschen finden – natürlich – einen Sitzplatz. Es gilt immer noch: Wenn alle reingehen ...Die Architektur findet nicht ungeteilte Zustimmung. Die Fachleute sagen, neben der grundlegenden Anlehnung an die Romanik (Rundbögen, Kreuzgewölbe) sind in Details auch gotische Elemente vorhanden.

Der Kirchenraum 1997
Der Kirchenraum 1997

Mit dem Siegel versehen und für richtig befunden! Wir Nachkommen können da nur den Hut ziehen! Diese neue, inzwischen mehr als 100 Jahre alte Kirche mit ihrer ebenfalls 100 Jahre alten Orgel kann jeder Interessierte in Augenschein nehmen. Jahrzehntelang ›Alt­glienicker Dorfkirche‹, von einem Schaffner der Straßenbahn 84 gar ›Dom‹ genannt, bestand der Pfarrer Simon in den 60er Jahren auf der Bezeichnung ›Evangelisch-lutherische Pfarrkirche‹. Der 41 Meter hohe Turm ist bis zur S-Bahnlinie sichtbar. Das Gebäude ist 36 Meter lang und 16 Meter breit. 800 bis 1000 Menschen finden – natürlich – einen Sitzplatz. Es gilt immer noch: Wenn alle reingehen ...Die Architektur findet nicht ungeteilte Zustimmung. Die Fachleute sagen, neben der grundlegenden Anlehnung an die Romanik (Rundbögen, Kreuzgewölbe) sind in Details auch gotische Elemente vorhanden.
Die Orgel wurde von der Orgelbaufirma Wilhelm Sauer in Frankfurt/Oder erbaut und am 10. 11. 1895 geweiht. In den ersten Jahren mußte der Blasebalg, der die Pfeifen der Orgel mit Luft versorgt, von einem Helfer mit den Füßen betätigt werden, bis im Jahre 1911 der Landwirt Gustav Hannemann einen Elektromotor ­stiftete, der die Luft in den Balg saugt. In den 60er Jahren wurde die Orgel um­gearbeitet, aber die Abnutzungserscheinungen in den folgenden Jahren führten zum teilweisen Ausfall. 1996/97 wurden die Schäden behoben, wiederum durch die Firma Sauer, und am 29. 6. 1997 konnte die Orgel in einem feierlichen Gottesdienst wieder in Dienst gestellt werden. Nun sind wieder Orgelkonzerte möglich, und das sicher nicht nur zur Freude der Altglienicker Einwohner.
Zu den gegenwärtigen, unter Verschluß gehaltenen Schätzen der Kirchengemeinde gehören: ein silberner Kelch von 1541, zwei Zinnleuchter von 1722 und die zur Einweihung 1895 von der Kaiserin Auguste Viktoria gestifteteBibel mit Widmung. Abbildungen der Gegenstände sowie Zeugnisse der Altglienicker Geschichte sind im Kirchenschiff zu besichtigen.
Aufmerksame Besucher werden gewiß beachten, daß der 163 gefallenen Altglienicker Soldaten des ersten Weltkrieges gedacht ist, und zwar in Gestalt von Tafeln auf der rechten Seite des Kirchenschiffes. Wir lesen auch Namen der seit Generationen im Ort ansässigen Familien. Je drei Angehörige hatten die Familien Partenheimer und Dürre zu beklagen, je zwei die Familien Haberecht und Dietz. Der links neben dem Portal auf dem Kirchengelände ruhende Findling ist den gefallenen Turnern gewidmet.

Der Glockenstuhl der Pfarrkirche
Der Glockenstuhl der Pfarrkirche

Interessant ist das Schicksal der Kirchenglocken. Die dritte Kirche besaß zwei Glocken, darunter die von 1703, und sie war es wahrscheinlich, die 1839 anläßlich einer Bestattung gesprungen war. Sie wurde umgegossen und die Vergrößerung ­folgendermaßen begründet: ›Das Dorf Glienicke hat eine große Ausdehnung und ist wohl eine halbe Stunde lang. Bei kirchlichen und polizeilichen Zwecken ist der Schall der Glocke nicht überall zu hören und hoffen wir, daß dieser Grund Berücksichtigung finden würde.‹ Natürlich ging es wieder einmal ums Geld. Da das Material der gesprungenen Glocke ›noch gebraucht‹ werden konnte, betrugen die Kosten ›nur‹ 108 Taler, 9 Groschen, 6 Pfennige. Die umgegossene Glocke hielt bis 1891, dann sprang sie erneut. 1895 wurde sie als Otto-Ehlersche-Glocke von 1703 zum Einschmelzen gegeben. Statt dessen wurden drei Bronzeglocken in Auftrag gegeben, von denen zwei Materialmängel aufwiesen, 1917 abgenommen und gleich zerschlagen wurden. Da 1920 das 25jährige Bestehen der Kirche festlich begangen werden ­sollte, mußte tief in die Tasche gegriffen werden: drei Klangstahlglocken und ein eiserner Glockenstuhl waren 1922 installiert, die Kosten beträchtlich: 35200 Mark. Bis 1961 wurden die Glocken von Hand geläutet, zuletzt von zwei 60jährigen Frauen.

Später kam ein elektrisches Geläute hinzu. Die kleine cis-Glocke trägt die Inschrift ›Uns zur Seligkeit‹, die mittlere ais-Glocke die Inschrift ›Dem Herrn geweiht‹ und die ­fis-Glocke ›In eiserner Zeit‹.
Wie erging es der Pfarrkirche in den 100 Jahren ihres Bestehens? Nicht immer gut! Eine Explosion bei der Firma Kahlbaum am Adlergestell im Mai 1917 ließ einige Fenster bersten. Im zweiten Weltkrieg erlitt sie Bombenschäden, hielt sich aber wacker. Mehr setzten ihr der schleichende Verfall und dringend nötige, aber nicht erfolgte Reparaturen zu DDR-Zeiten zu.
Ein Problem war immer die Heizung in dem riesigen Raum, weil deren hohe Kosten in keinem Verhältnis zu der geringer werdenden Anzahl von Gläubigen standen, die den Gottesdienst besuchten. So entstand die sogenannte Winterkirche, ein kleiner Raum unter der Orgelempore, geschaffen durch eine Glastrennwand, mit einer kleinen Schwester der Orgel in Gestalt eines Positivs mit vier klingenden Stimmen.


(Herzlichen Dank an Hans Eberhard - Ernst für die Bereitstellung der Texte und einiger Fotos. Dieser Artikel stammt aus dem Buch "Geschichten vom Dorf Altglienicke"  Text-Autorin : Helga Hauthal
Weitere Texte, Randbemerkungen und die gestalterischen
Zugaben und Bilder stammen von Anneliese und Hans Eberhard - Ernst.
Copyright bei der AG Heimatgeschichte des Bürgerverein Altglienicke e.V.)

Bilder der Pfarrkirche